In Zeiten zunehmender sozialer Spaltung, wachsendem Druck auf Beschäftigte und einem immer aggressiveren Vorgehen vieler Unternehmen gegen gewerkschaftliche Organisierung, braucht es starke Betriebsräte mit Rückgrat – keine Bittsteller in Betriebsratsjacken. Und doch erleben wir in manchen Betrieben ein verstörendes Phänomen: Betriebsratsmitglieder, die sich nicht als Schutzschild der Kolleg*innen verstehen, sondern als verlängerter Arm der Geschäftsführung agieren – zwischen Anbiederung, Feigheit und Eigennutz. Dieses Verhalten schwächt die Mitbestimmung, untergräbt Solidarität und gefährdet am Ende die gesamte Idee der kollektiven Interessenvertretung.
Mitbestimmung ist kein Wunschkonzert für Karrieristen
Betriebsräte sind keine Erfüllungsgehilfen der Unternehmensleitung, sondern das gesetzlich verankerte Gegengewicht zur betrieblichen Macht. Sie sind gewählt, um die Interessen der Beschäftigten durchzusetzen – auch und gerade, wenn das unbequem ist. Doch immer wieder treten Kolleg*innen an, die diese Aufgabe entweder nicht verstanden haben oder ganz bewusst einen anderen Kurs einschlagen: angepasst, konfliktscheu, arbeitgeberfreundlich.
Die Gründe dafür sind vielfältig – doch sie sind nicht zu entschuldigen. Manche suchen die persönliche Bequemlichkeit, andere möchten sich durch gute Beziehungen zur Führung Vorteile verschaffen, wieder andere glauben naiv, sie könnten durch Wohlverhalten mehr „für die Belegschaft erreichen“. Doch das ist ein Trugschluss. Wer sich anbiedert, verliert seine Unabhängigkeit. Wer sich in der Hoffnung auf Privilegien ruhig verhält, macht sich erpressbar. Und wer glaubt, durch gefälliges Auftreten etwas zu „verhandeln“, hat den Sinn von Interessenvertretung nicht verstanden.
„Vertrauensvolle Zusammenarbeit“ ist keine Einbahnstraße
Das Betriebsverfassungsgesetz spricht von einer „vertrauensvollen Zusammenarbeit“. Doch dieses Vertrauen muss auf Gegenseitigkeit beruhen – und setzt voraus, dass der Betriebsrat seine Rolle als Kontrollinstanz ausfüllt. Ein Betriebsrat, der sich dem Arbeitgeber unterordnet, betreibt keine Zusammenarbeit, sondern Kapitulation. Das mag dem Unternehmen gefallen – doch es schadet der Belegschaft.
Gerade in Zeiten von Outsourcing, Tarifflucht, Leistungsverdichtung und Prekarisierung braucht es Betriebsräte, die Haltung zeigen. Die Nein sagen können. Die sich nicht für betriebliche „Projekte“ einspannen lassen, während Kolleg*innen unter Leistungsdruck zusammenbrechen. Wer sich in Aufsichtsräten wohlfühlt, aber in Pausenräumen nicht mehr ansprechbar ist, hat den Bezug zur Basis verloren.
Zwischen Klassenverrat und Schweigen
Wenn Betriebsratsmitglieder sich offen mit der Unternehmensleitung solidarisieren, ist das nicht nur politisch verwerflich – es ist Klassenverrat. Das mag hart klingen, aber Mitbestimmung ist kein neutraler Raum. Betriebsräte stehen – ob sie wollen oder nicht – in einem strukturellen Interessengegensatz zum Arbeitgeber. Sie sind die Vertreter*innen der abhängig Beschäftigten. Wenn sie das vergessen oder verleugnen, verraten sie den Auftrag, den sie übernommen haben.
Noch problematischer wird es, wenn Betriebsräte dabei auch noch ihre gewerkschaftliche Verankerung kappen, sich Schulungen verweigern, Kontakt zu Vertrauensleuten meiden oder Gewerkschaftssekretär*innen als „Einmischer“ diffamieren. Dieses Verhalten dient oft nur einem Zweck: die eigene Komfortzone zu sichern – und jede Kritik an der eigenen Inaktivität abzuwehren.
Gewerkschaftliche Organisierung als Gegenmodell
Gewerkschaften stehen für kollektive Stärke, politische Bildung und konsequente Interessenvertretung. Wir brauchen keine Betriebsräte, die auf Kuschelkurs mit der Chefetage gehen – wir brauchen kämpferische Gremien, die bereit sind, Konflikte auszutragen. Die wissen, dass man Respekt nicht geschenkt bekommt – und dass gute Arbeitsbedingungen nicht durch höfliche Bitten entstehen, sondern durch solidarischen Druck und gewerkschaftliche Organisation.
Wo Betriebsräte versagen, müssen Gewerkschaften umso entschlossener handeln: Aufklärung, Schulung, Vernetzung – aber auch klare Kante, wenn Betriebsräte zu Sprachrohren der Geschäftsführung werden. Wer in einer Funktion agiert, die sich gegen die Belegschaft richtet, darf keine gewerkschaftliche Rückendeckung erwarten. Die Gewerkschaft ist kein Feigenblatt für Anpassung – sie ist ein Werkzeug für Veränderung.
Fazit: Haltung ist keine Option – sie ist Pflicht
Betriebsratsarbeit ist kein Job für Opportunisten. Sie erfordert Haltung, Konfliktbereitschaft und klare Solidarität mit den Kolleg*innen. Wer sich dem Arbeitgeber andient, verliert nicht nur seine Glaubwürdigkeit, sondern auch die Legitimation, für andere zu sprechen. Aus gewerkschaftlicher und linker Sicht ist klar: Der Klassenkompromiss hat Grenzen – und wo Betriebsräte diese überschreiten, müssen wir sie daran erinnern, auf wessen Seite sie stehen sollten.