Kurz erklärt: Betriebsverfassungsgesetz § 87 – Die erzwingbare Mitbestimmung

Ein besonders zentraler Paragraph des Betriebsverfassungsgesetzes ist der § 87 – das Herzstück der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten. Dieser Paragraf ist nicht nur juristisches Instrument, sondern gelebte betriebliche Demokratie. Wer Mitbestimmung ernst meint, muss den § 87 als tägliches Werkzeug und politische Errungenschaft zugleich begreifen.
Was regelt § 87 BetrVG konkret?
§ 87 BetrVG zählt die sogenannten erzwingbaren Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats auf – also Bereiche, in denen der Arbeitgeber ohne Zustimmung des Betriebsrats schlichtweg nicht handeln darf. Insgesamt 13 Punkte listet das Gesetz auf. Sie reichen von der Ordnung im Betrieb über Fragen der Arbeitszeit, Pausenregelung und Überstunden, bis hin zur Einführung technischer Überwachungseinrichtungen und betrieblichen Lohngestaltung ohne tariflichen Bezug.
Hier einige zentrale Punkte im Überblick:
- Abs. 1 Nr. 1: Ordnung des Betriebs und Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb (soweit kein Arbeitsverhalten).
- Abs. 1 Nr. 2-3: Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, Pausen, Verteilung auf die Wochentage sowie Überstunden.
- Abs. 1 Nr. 6: Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen, die das Verhalten oder die Leistung der Beschäftigten überwachen sollen.
- Abs. 1 Nr. 7: Regelungen zur Verhütung von Arbeitsunfällen und Gesundheitsschutz.
- Abs. 1 Nr. 10-11: Betriebliche Lohngestaltung, Prämien, Sonderzahlungen, Akkord- und Zielvereinbarungen – soweit nicht tariflich geregelt.
All diese Themen sind nicht theoretisch – sie begegnen uns jeden Tag im Betrieb. Genau deshalb ist § 87 ein zentrales Werkzeug für gewerkschaftlich orientierte Betriebsratsarbeit.
Die politische Dimension der Mitbestimmung
Aus gewerkschaftlicher Sicht ist § 87 BetrVG weit mehr als eine juristische Vorschrift: Er ist Ausdruck des Kampfes um Teilhabe, um Respekt und um menschenwürdige Arbeit. In vielen Betrieben ist es gerade dieser Paragraf, der verhindert, dass Arbeitgeber einseitig Maßnahmen durchdrücken, die zu Mehrarbeit, Kontrolle, Leistungsdruck oder gesundheitlicher Belastung führen.
Politisch betrachtet bedeutet Mitbestimmung nach § 87, den Betriebsalltag aktiv mitzugestalten – nicht nur zu reagieren, sondern proaktiv gute Arbeitsbedingungen zu fordern und durchzusetzen. Es geht um Augenhöhe und den Anspruch, dass Beschäftigte nicht nur „Kostenfaktor“, sondern Mitgestalter ihrer Arbeitswelt sind.
Beispiele aus der Praxis: Mitbestimmung im Alltag
- Arbeitszeitmodelle: In vielen Betrieben wollen Arbeitgeber flexible Arbeitszeitmodelle einführen – etwa Gleitzeit oder Schichtsysteme. Ohne Zustimmung des Betriebsrats geht das nicht. Der Betriebsrat kann darauf bestehen, dass Modelle gewählt werden, die Familie und Freizeit berücksichtigen und nicht zur Dauerverfügbarkeit führen.
- Technische Überwachung: Die Einführung neuer Softwaresysteme, etwa zur Zeiterfassung oder Leistungskontrolle, muss der Betriebsrat mitbestimmen. Gerade in Zeiten von Homeoffice, digitalem Monitoring und KI ist das entscheidend, um Datenschutz und Arbeitnehmerrechte zu schützen.
- Boni und Leistungsentgelte: Arbeitgeber versuchen oft, variable Entgeltsysteme ohne Beteiligung des Betriebsrats zu installieren. Doch auch hier gilt: Ohne Einigung – keine Umsetzung. Der Betriebsrat kann dafür sorgen, dass solche Systeme transparent, gerecht und nachvollziehbar sind – und keine Spaltung im Betrieb fördern.
Grenzen und Herausforderungen
Natürlich gibt es Grenzen. Dort, wo eine Angelegenheit tariflich geregelt ist (Tarifvorrang), ist der Betriebsrat außen vor. Ebenso dort, wo es um das individuelle Arbeitsverhalten (statt um das betriebliche Zusammenleben) geht. Doch gerade in nicht tarifgebundenen Betrieben ist § 87 oft der letzte Hebel, um Standards durchzusetzen. Und selbst in tarifgebundenen Unternehmen kann der Betriebsrat darauf achten, dass die Umsetzung tariflicher Regelungen im Betrieb arbeitnehmerfreundlich erfolgt.
Gewerkschaftlich denken – gemeinsam durchsetzen
Betriebsräte, die gewerkschaftlich organisiert sind, sind in der besseren Position, diese Mitbestimmungsrechte durchzusetzen. Denn hinter ihnen steht eine Bewegung, eine Organisation, Erfahrung, Schulung und Solidarität. Die Durchsetzung von Mitbestimmung nach § 87 braucht nicht nur Paragraphenkenntnis, sondern politischen Willen, Rückgrat und Unterstützung. Betriebsräte, die auf sich allein gestellt sind, geraten schnell unter Druck – ob subtil oder offen. Gewerkschaften bieten hier Schutz, Vernetzung und Strategie.
Fazit: Mitbestimmung ist keine Bitte – sie ist Pflicht und Recht
§ 87 BetrVG ist ein Schlüsselparagraf für eine gerechtere Arbeitswelt. Er zeigt: Beschäftigte haben das Recht, mitzubestimmen – bei Arbeitszeit, Gesundheit, Kontrolle und Entgelt. Und sie sollten es auch tun. Betriebsräte, die ihre Rechte nutzen, verändern konkret den Alltag der Kolleg*innen. Und sie setzen ein Zeichen: Für Demokratie im Betrieb. Für Respekt. Für eine Arbeitswelt, die nicht nur funktioniert, sondern dem Menschen dient. Denn eines ist klar: Wer Mitbestimmung nicht nutzt, verliert sie Schritt für Schritt. Wer sie lebt, stärkt die Kraft der Beschäftigten – Tag für Tag.